Jeder Störfall ändert die Gewohnheit,[...] bringt das mutmaßliche Kontinuum des Lebens durcheinander. Der Treuebruch des geliebten Partners, ein Schicksalshieb, schwere Krankheit, jäher Tod. Wie bunt die Welt in solchem Grau noch sein kann, hängt von vielem ab. "Minutenbunt" hat Anke Mühlig ihr Buch genannt; das sich mit der fortschreitenden Altersdemenz ihrer Mutter beschäftigt. Ein eindringlich, sehr sensibles Werk.
Obwohl Mutter und Tochter einander so nahe sind, leben sie doch in völlig unterschiedlichen Koordinatengefügen, in Parallelwelten. Welche stimmt nun, welche ist falsch, oder wie wirklich ist die Wirklichkeit überhaupt?
Ein Doppelporträt, eine gedoppelte Biografie aus Worten und Bildern, mal mehr Grau, mal voller schöner Farben. Die eine lebt auf dem Zeitstrahl, die andere mehr ohne Zeit, manchmal Ewigkeit genannt. Eine sehr anspruchsvolle Lektüre, eine Empfehlung, mit Dank.

Gerold Paul, Potsdamer Neueste Nachrichten, 24.3.2014



In eindringlichen textilen Bildern, kurzen Texten und Gedichten schildert Anke Mühlig in ihrem Buch "Minutenbunt" ein Leben, dass zunächst vom Großen Vergessen bedroht wird und schließlich hineingleitet. "Das Wort Demenz ist dabei lange um uns herum geschlichen, wie ein stiller Fuchs", beschreibt die Kleinmachnower Künstlerin den Wandel.
Die Tochter nimmt sich Zeit, lebt mit der Mutter den Augenblick. Zu einem Hier und Jetzt ist das Leben geronnen.
Denn die Demenz, so furchteinflößend sie für viele heute ist, bietet zugleich eine Chance: "Die Chance die Dinge des Lebens nochmal anders zu sehen und anderes zu machen", ist sich Anke Mühlig heute sicher.
Entstanden ist ein faszinierendes Buch, das existenzielle Lebensfragen anstößt und zugleich ermuntert, den Augenblick - jenseits allen Zeitmanagements - bedingungslos zu genießen.

Konstanze Wild, Märkische Allgemeine Zeitung, 11.3.2014



Das ungewöhnliche Format (29 X 15 cm - es liegt gut in der Hand!) und der vorherrschende warme Gelbton in der Umschlagsgestaltung des Buches, verlocken, sich bei einer Tasse Tee im Sessel zurückzulehnen und zu lesen - nein, das trifft es nicht ausreichend, vielmehr zu blättern, zu betrachten, zu versinken, sich berühren zu lassen und dabei der Autorin und ihrer Mutter auf dem gemeinsamen Weg in das "Große Vergessen" zu folgen. (...) Und so geht es in "Minutenbunt" einmal überhaupt nicht um medizinische Details einer Demenzerkrankung, sondern um das Ringen um Verständnis für die Erkrankte sowie um die Beziehungsgestaltung von Tochter und Mutter. Liebevoll, einfühlsam, oft auch erschreckt und erschüttert über demenziell bedingte Veränderungen im Wesen und Verhalten der Mutter, dabei immer wertschätzend gegenüber Momenten von Nähe und Zweisamkeit in jedem Augenblick bis zu ihrem Tod, lässt Anke Mühlig die Leser an diesem Prozess teilhaben.

Als freischaffende Künstlerin kann sie auf weitere Ausdrucksformen als nur auf die der beschreibenden Worte zurückgreifen und auf anderen Ebenen Zugang zu ihrem eigenen Erleben und dem der Mutter finden. So öffnet sie auch für den Lesenden andere Zugangswege. (...) Es werden kurze Episoden geschildert, kleine Erzählungen, die in der Gesamtschau die Entwicklung von Mutter und Tochter deutlich werden lassen. In einem Teil des Buches schließt sich jeweils ein Gedicht an, das verdichtet, zuspitzt und emotional verstärkt. Besonders eindrücklich sind dazu die Abbildungen der textilen Bilder von Anke Mühlig - in wunderschöner Farbigkeit aus Seide, Filz, Knöpfen, gestickten Worten, um nur einige Materialien und Gestaltungsweisen zu nennen, und vom Fotografen Nils Chudy so in Szene gesetzt, dass man fast meint, durch einen Ausstellungsraum zu wandeln und Details der Exponate betrachten zu können.

"Minutenbunt" ist absolut empfehlenswert für alle, die offen sind für eine Annährung an das Thema Demenz fernab der defizitorientierten Sichtweise.

Susanne Volkmann
Ergotherapie und Rehabilitation
(Fachzeitschrift Deutscher Verband Ergotherapeuten e.V.)
Mai 2015



Stoffe des Vergessens
Die Textilkünstlerin Anke Mühlig zeigt in Chemnitz ihre Antwort auf die Demenz

Hände, ausgeformt aus hellem Baumwolljersey, erheben sich abwehrend, schieben die dunkelroten Filzbuchstaben D E M E N Z weg. Eine Hand hält den Finger vor die roten Filzlippen. So hat Anke Mühligs Mutter abgeblockt, als die Tochter endlich Hilfe wegen derer zunehmenden Vergesslichkeit und Wesensveränderungen suchte. Mit "Tränen und Türenknallen" habe die Tochter mit der Mutter gekämpft, versucht "sie auf ihrer gemeinsamen Insel festzuhalten", erzählt Anke Mühlig. Als sie die Krankheit Demenz anerkannten, "begann eine wichtige, gute Zeit", resümiert sie. Und sie als Textilkünstlerin verarbeitet diese Erlebnisse in Kunstwerken, auch als Überlebenshilfe.
"Fluch und Gnade de Großen Vergessens" sind bildlich dargestellt in einem Stoff mit vielen Taschen aus dem Brautkleid ihrer Mutter, das nach dem Krieg aus Fallschirmseide genäht worden war. Und alle Taschen sind nach unten offen ohne Naht. "Fluch", dass die Mutter ihr eigenständiges Leben verlor, die vier Kinder nach und nach für alles sorgen mussten, bis hin zu ihrer Unterbringung in einer Pflege- WG. Gnade sei es, so Anke Mühlig, die sie hauptsächlich betreut hat, in der Beziehung noch einmal neu anfangen zu können. Die Zeit steht für die Mutter still, als sie die Uhr nicht mehr lesen kann, und hat doch schöne Momente. Die Tochter, die Künstlerin, findet das Wort "Minutenbunt" dafür - als Titel der Ausstellung mit zwanzig Bannern.
Der Begleitband dazu - erschienen im Nicolai-Verlag - enthält nicht nur die Bilder und Gedichte, welche in der Jacobikirche ausgestellt sind, sondern auch die Erlebnisse, die zu dem jeweiligen Bild geführt haben. Ein sehr informatives und leicht lesbares Buch zum Leben mit Demenz ist so entstanden. Goldgelbe Seiten in der Mitte symbolisieren das Licht, das Anke Mühlig erlebt habe, und womit sie andere ermutigen will.
Die Berlinerin, 1957 geboren, lebt heute mit ihrer Familie in Kleinmachnow bei Berlin. Seit 1996 arbeitet sie in ihrem eigenen Atelier und verbindet alte und moderne textile Techniken. Ein begehbares Buch aus Texten des Holocaust-Hinterbliebenen Zwi Kanar und eine Engelausstellung waren ähnlich große Projekte wie "Minutenbunt". Vielleicht ist das die erste bildnerische Verarbeitung der "großen Krankheit unserer Generation", wie Anke Mühlig sie nennt.
Die Ausstellung findet Resonanz, wo immer sie gezeigt wird. Nach Prina ist Chemnitz die zweite Station in Sachsen.

Katharina Weyandt, Der Sonntag, 19.06.2016



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